von TOBIAS BRINGS und MAXIMILIAN OEHL
Am heutigen Freitag kommt es zur Beratung des gestern im Bundestag beschlossenen Entwurfs des AsylverfahrensbeschleunigungsG im Bundesrat, in deren Folge jedoch keine substantiellen Änderungen mehr zu erwarten sind. Neben den von uns in Teil 1 bereits behandelten Leistungskürzungen sieht der Gesetzentwurf zur Beseitigung vermeintlicher „Fehlanreize“ zur Migration sowie zur Erreichung des namensgebenden Ziels der Beschleunigung von Asylverfahren längere Aufenthaltspflichten in Erstaufnahmeeinrichtungen, die Verlängerung der Residenzpflicht und Hürden für Arbeitsmarkt- und Bildungszugang vor. Inwiefern diese Maßnahmen zusammenhängen und wie (schlecht) es um ihre unions- und verfassungsrechtliche Vereinbarkeit bestellt ist, behandelt der zweite Teil unseres Beitrags.
Längere Aufenthaltspflichten in Erstaufnahmeeinrichtungen: Folgen für den Zugang zum Bildungssystem…
Die medial teils anhand von gewalttätigen Auseinandersetzungen in Erscheinung getretenen (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen („Massenunterkünfte“) sind ebenfalls wesentlicher Gegenstand der Gesetzesreform. Gem. § 47 Abs. 1 S. 1 AsylG-E soll der Regelaufenthalt dort von bislang drei auf nunmehr bis zu sechs Monate ausgeweitet werden. Darüber hinaus sollen Ausländer aus „sicheren Herkunftsstaaten“ gem. § 47 Abs. 1a AsylG-E sogar dazu verpflichtet werden, für die Dauer ihres gesamten Verfahrens und im Falle einer negativen Entscheidung bis zu ihrer Ausreise in derlei Unterkünften zu wohnen.
Diese verlängerten Aufenthaltspflichten führen teilweise zu unionsrechtswidrigen Folgewirkungen. Ein solcher, den Bildungszugang für Minderjährige betreffender Effekt ergibt sich im Zusammenspiel mit (uneinheitlichen) landesrechtlichen Regelungen. So verlangt Art. 14 Abs. 2 S. 1 RL 2013/33/EU:
„Der Zugang zum Bildungssystem darf nicht um mehr als drei Monate, nachdem ein Antrag auf internationalen Schutz von einem Minderjährigen oder in seinem Namen gestellt wurde, verzögert werden.“
34 Abs. 6 S. 1 SchulG NRW hingegen besagt:
„Die Schulpflicht besteht für Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und alleinstehende Kinder und Jugendliche, die einen Asylantrag gestellt haben, sobald sie einer Gemeinde zugewiesen sind und solange ihr Aufenthalt gestattet ist.“
Folglich führt die Kombination aus einer Unterbringung in der Aufnahmeeinrichtung von über drei Monaten und landesrechtlicher Anknüpfung an die Zuweisung eines Minderjährigen in eine Gemeinde zu einem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 2 S. 1 RL 2013/33/EU.
In Rheinland-Pfalz besteht gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 SchulG RLP ein vergleichbares Problem. Es muss folglich zu einer Auflösung dieses Konflikts zwischen Unions-, Bundes- und Landesrecht kommen. Aus Perspektive des Unionsgesetzgebers besteht lediglich Interesse an der Herstellung eines unionsrechtskonformen Zustands. Korrekter Maßstab für die Auflösung des Konflikts zwischen Bundes- und Landesrecht ist mithin das deutsche Verfassungsrecht. Bis diese gelungen ist, haben die Änderungen des § 47 Abs. 1, 1a AsylG-E allerdings unionsrechtswidrige Wirkungen.
Im Übrigen stellt sich jedoch allgemein die Frage, wie dieser Verpflichtung aus der RL 2013/33/EU bei der Pflicht zum Verbleib in der Aufnahmeeinrichtung praktisch nachgekommen werden soll. Art. 14 Abs. 3 eröffnet zwar abweichend die Option, anstelle des „Zugangs zum Bildungssystem“ auch „andere Unterrichtsformen“ vorzusehen, dies jedoch nur sofern der Zugang zum Bildungssystem „aufgrund der spezifischen Situation des Minderjährigen nicht möglich“ ist. Genau wie die in Art. 14 Abs. 2 vorgesehenen Vorbereitungskurse handelt es sich dabei um Alternativen, die die besonderen Bedürfnisse betroffener Kinder bedienen und nicht einen systematisch unmöglichen Zugang zum Bildungssystem ausgleichen sollen (in diesem Sinne aber scheinbar Thym, S. 6). Im Ergebnis müssten die Bundesländer daher wohl entsprechend dafür sorgen, dass ein weitgehend vergleichbarer Zugang zum öffentlichen Bildungssystem in der Nähe der Aufnahmeeinrichtungen gewährleistet ist, was wiederum haushaltsrechtliche und letztlich auch finanzverfassungsrechtliche Folgefragen aufwerfen könnte.
… und zum Arbeitsmarkt für Personen aus „sicheren Herkunftsstaaten“
Ebenso verlangt Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU, dass, solange noch keine behördliche Entscheidung getroffen wurde, spätestens neun Monate nach Antragstellung der Arbeitsmarktzugang gewährt wird.
61 Abs. 1 AsylVfG untersagt für die Dauer der Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Für die Betroffenen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ endet diese Pflicht jedoch nie, sodass für sie ein dauerhaftes Beschäftigungsverbot gilt. Im neuen § 61 Abs. 2 S. 4 AsylG-E wird sogar nochmals ausdrücklich klargestellt, dass dieser Personengruppe eine Beschäftigung während des Asylverfahrens nicht zu erlauben ist. Dies ist klar unionsrechtswidrig.
Daran ändert auch nichts, dass die Verfahrensdauer für diese Personengruppe statistisch im Schnitt unterhalb der neun Monate bleibt. Da die Bundesrepublik auch weiterhin nicht die Vorgaben der RL 2013/32/EU, v.a. in Bezug auf die Mindestdauer der Prüfverfahren – sechs Monate im Regelfall nach Art. 31 Abs. 3 S. 1 – umgesetzt hat, besteht bezüglich der Verfahrensdauer im Einzelfall weiterhin keine Sicherheit. Somit ist von der Unionsrechtswidrigkeit der Vorschrift auszugehen. (Die Verfahrensdauer kann darüber hinaus nach unionsrechtlichen Vorgaben sogar auf bis zu 21 Monate rechtmäßig verlängert werden.) Eine Relativierung der Vorgaben zum Arbeitsmarktzugang basierend auf der Bestimmung „sicherer Herkunftsstaaten“ ist unionsrechtlich gerade nicht vorgesehen.
Fortwährendes Verbot von Erwerbstätigkeit für Personen aus „sicheren Herkunftsstaaten“
Das Beschäftigungsverbot der Personen aus den „sicheren Herkunftsländern“ setzt sich jedoch auch danach – im Falle der Erlangung einer bloßen Duldung – fort. Die – bereits als § 33 BeschV fragwürdige – Regelung des § 60a Abs. 6 S. 1 AufenthG-E sieht nun ergänzend vor, dass einer Person aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ die Ausübung einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht erlaubt werden darf. Das Unionsrecht schweigt zu diesen Aspekten – Fragen des Arbeitsmarktzugangs für Drittstaatsangehörige sind außerhalb des Asylverfahrens weitgehend Sache der Mitgliedstaaten. Mit dem Gedanken einer selbstbestimmten, menschenwürdigen Lebensführung scheint diese Regelung jedoch nicht vereinbar. Die Fälle der „Kettenduldungen“ zeigen, dass der Zustand der Duldung unverschuldet über Jahre hinweg bestehen bleiben kann. Menschen aus den „sicheren Herkunftsstaaten“ innerhalb dieser Zeiträume jegliche Chance auf Zugang zum Arbeitsmarkt zu nehmen, ist unverhältnismäßig und aus einer haushaltspolitischen Betrachtung schlicht unklug.
Einhergehende Verlängerung der „räumlichen Beschränkung“
Die wieder eingeführte Verknüpfung der räumlichen Beschränkung (sog. „Residenzpflicht“) in § 59a Abs. 1 S. 2 AsylG-E mit der Dauer der Verpflichtung zum Aufenthalt in den Aufnahmeeinrichtungen macht den vor Kurzem getanen Schritt der gesetzlich vorgesehenen Verkürzung eben dieser Beschränkung auf regelmäßig drei Monate (§ 59a Abs. 1 S. 1 AsylVfG) rückgängig. Die Gesetzesbegründung schweigt zwar bezüglich dieser konkreten Veränderung, allerdings wird die „Residenzpflicht“ von jeher als Mittel zur angemessenen Lasten- und Aufgabenverteilung zwischen den Bundesländern und zur Sicherung der ständigen Erreichbarkeit von Asylbewerbern unter Vermeidung unkontrollierter Bewegungen zugunsten einer Beschleunigung der Asylverfahren verstanden.
Zwar mag Art. 7 Abs. 1 RL 2013/33/EU (wie die Vorgängernorm in RL 2003/9/EG) die Zuweisung zu einem bestimmten Gebiet durch die Mitgliedstaaten erlauben, sofern die unveräußerliche Privatsphäre nicht beeinträchtigt wird und sicher gestellt ist, „dass Gewähr für eine Inanspruchnahme aller Vorteile aus dieser Richtlinie gegeben ist“. Nichtsdestotrotz hat die räumliche Beschränkung erhebliche Grundrechtsrelevanz mit Blick auf die persönliche Bewegungsfreiheit der Betroffenen.
Die generelle Verfassungsmäßigkeit dieser räumlichen Beschränkung wurde zwar durch das BVerfG im Jahr 1997 bestätigt. Es erscheint jedoch fraglich, ob die „Residenzpflicht“ zur Erreichung der verfolgten Ziele überhaupt noch als geeignet und erforderlich erachtet werden kann. Um Fragen der „Soziallastenverteilung“ zwischen den öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften geht es nicht wirklich, da diese vorrangig im Kontext der Wohnsitznahmeverpflichtung aufgelöst werden sollen. Eine ständige Erreichbarkeit von Asylbewerbern unter Vermeidung unkontrollierter Bewegungen zugunsten einer Beschleunigung der Asylverfahren mag zwar theoretisch einleuchten, läuft in Anbetracht der fast einhelligen Praxis der Beschränkung auf das Gebiet eines gesamten Bundeslandes de facto jedoch leer. Allgemein ist in der Praxis bekannt, dass die Rechtslage vor der gesetzlichen Verkürzung der „Residenzpflicht“ kaum dazu geführt hat, dass die Asylbewerber im Verfahren besser erreichbar waren (vgl. Rosenstein, ZAR 2015, 226). Auch die Tatsache, dass die Bundesregierung vor weniger als einem Jahr noch davon überzeugt war, diese Pflicht zu lockern, verstärkt die Widersprüchlichkeit. Zwar wird das Kriterium der „Geeignetheit“ einer gesetzlichen Maßnahme tendenziell weit verstanden, hier könnte man jedoch berechtigterweise in Frage stellen, ob mit der „Residenzpflicht“ der gewünschte Erfolg (in der Praxis) überhaupt gefördert wird. In Anbetracht der umfassenden allgemeinen und besonderen Mitwirkungspflichten der Betroffenen nach dem AsylVfG erscheint sie darüber hinaus auch nicht erforderlich.
Fazit –Teil 2 & Schlussbemerkung
Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz steht mit seinen punktuellen Änderungen sinnbildlich für eine Situation, in welcher der Gesetzgeber wahrhaftige migrationspolitische Weichenstellungen vermeiden möchte. Das bestehende Migrationsrecht wird stattdessen auf Kosten ohnehin schon weitgehend marginalisierter und zahlenmäßig aktuell eher unbedeutenderer Migrantengruppen (im September etwa machten Albaner, Kosovaren und Montenegriner ca. 5 % der registrierten Personen aus, vgl. Bundestag, Sitzungsprotokoll vom 30.9.2015, Anlage 28) verschärft – hierdurch entsteht der Eindruck einer „Symbolpolitik“, die mutmaßlich in erster Linie die „Migrationskritiker“ vorerst zu besänftigen sucht.
Die vergleichsweise eindeutigen verfassungs- und unionsrechtlichen Komplikationen des Gesetzesvorhabens verdeutlichen dabei das Dilemma, dem sich der deutsche – wie der europäische – Gesetzgeber aktuell und für die Zukunft grundsätzlich gegenüber sieht: ohne den politischen Willen, das Migrationsrecht von Grund auf den zeitgenössischen Herausforderungen anzupassen, bleibt nur die Methode gesetzgeberischen „Stückwerks“. Dieses wird sich zwingend mit Konstitutionsprinzipen der „alten Ordnung“ reiben und wie gesehen zu teils verfassungs- und unionsrechtswidrigen Zuständen führen. Alternativ könnte der Gesetzgeber das Pferd schlicht von der richtigen Seite aufzäumen und die konfligierenden Konstitutionsprinzipien, etwa jenes der Menschenwürde und des Sozialstaats, zur Grundlage einer neuen Migrationsrechtsordnung machen. Die Tatsache, dass er sich hierdurch wahrscheinlich einige Konflikte mit seinen (Verfassungs-)Gerichtshöfen wird sparen können, zeigt, dabei gemerkt, eins: es wäre der Schritt nicht nur in die verfassungsgemäße, sondern schlicht in die richtige Richtung.